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1977 - Musikindustrie fast pleite

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1977 war ein Horrorjahr für die gebeutelte Musikindustrie.
Die Jugendlichen vor 35 Jahren hatten die Chupse, statt in rauen Mengen Schallplatten zu erwerben, einfach Alben auf Kassette zu überspielen oder Musik aus dem Radio aufzunehmen.

Ganz klar, das ist das Ende der Musik!

Interessant ist hierbei jedenfalls, dass die Heulerei der Musikindustrie die selbe geblieben ist. Der Text von damals gilt heute noch, lediglich die technischen Rahmenparameter muss man in Richtung mp3 und Festplatten anpassen.

Insgesamt ein lesenswerter Bericht als Zeitdokument.


Hits zum Nulltarif

“Eine Riesen-Erfindung” schwärmen die Schlagerfans. “Uns gehen dadurch jedes Jahr Millionen durch die Lappen”, klagen Plattenbosse. Was BRAVO Leser, Musikindustrie und Stars zum Thema Leer-Cassetten sagen, erfahrt ihr hier…
Die kleinen Schachteln mit den Maßen 100x63x8 Millimeter sind gewaltig auf dem Vormarsch. Gemeint sind die Leer-Cassetten, mit denen zu bestimmten Sendezeiten Millionen vor dem Radio oder Fernseher sitzen, die Musiksendungen kostenlos “anzapfen” und sich so eine eigene hausgemachte Hitparade zum Nulltarif zusammenstellen. Was den Musikfans und stolzen Cassettenrecorder-Besitzern dann noch in der Schlagersammlung fehlt, leihen sie sich als Platte von Freunden aus und überspielen es auf die “Heim-Musikbox”.
1976 wurden über 100 Millionen Leer-Cassetten verkauft, und die Hersteller sind sich sicher: “In diesem Jahr steigt der Umsatz noch weiter.”
Wir befragten eine Reihe von BRAVO-Lesern über ihre Erfahrungen mit Leer-Cassetten. Dabei kam heraus: Fast alle der angerufenen BRAVO-Leser besitzen einen Cassetten-Recorder, die meisten von ihnen haben außerdem einen Schallplattenspieler. Dabei überwiegt die Zahl der Einfach-Recorder, nur wenige besitzen teure Stereo-Cassetten-Decks.
Aufgenommen werden hauptsächlich Hits vom Radio, dabei stört die Fans die meist geringe Ton-Qualität wenig. Der “Tod der Schallplatte”, wie oft behauptet wird, scheint noch nicht in Sicht zu sein, wie manche Plattenhersteller argwöhnen. Alle Besitzer von Cassetten-Rekordern, die auch einen Schallplattenspieler haben, kaufen sich nach wie vor die Scheiben ihrer Lieblingsstars. Dafür gibt es keinen vollwertigen Ersatz.
BRAVO-Leser Gerd Schulze aus Berlin sagt zu diesem Thema: “Am liebsten nehme ich auf Cassette Rockgruppen auf, Deep Purple, Sweet oder Status Quo. Und wenn ich die eine oder andere Platte, die ich hören will, nicht zum Überspielen kriegen kann, dann kaufe ich sie mir eben. Allerdings: Mehr als ein bis zwei Platten im Monat schaffe ich mir nicht an.”
Agnes Attenberger aus Hormannsdorf: “Ich habe den Cassetten-Recorder zur Firmung geschenkt bekommen. Als alter Rollers-Fan stehen Woody & Co. natürlich bei meiner Aufnahmeliste ganz oben. Vom Radio nehme ich mit nur die Hits auf, zusätzlich kaufe ich mir noch Langspielplatten, die mit gefallen.”
Dieter Holzwarth auf Kirchardt: “Es ist natürlich prima, wenn ein schönes Lied im Radio kommt, ich brauche bloß aufs Aufnahmeknöpfchen zu drücken, und schon hab’ ich den Hit. Nur manchmal stört mich das Dazwischengequatsche der Disc-jockeys.”
Frank Elstner von Radio Luxemburg meint dazu: “Ich weiß, daß meine Hitparade am Sonntag zu den am meisten mitgeschnittenen Sendungen gehört. Vielleicht deswegen, weil ich in die einzelnen Lieder nicht hineinrede.”
Thomas Gottschalk, TV-”Szene ’77″-Moderator und Platten-Jockey beim Bayrischen Rundfunk (B III), stellt sich ganz auf die Seite der Cassetten-Freunde: “Früher habe ich auch immer die Hits auf Tonband aufgenommen. Bei den Single-Preisen von sechs Mark ist das auch mehr als verständlich. Aber einen reinen Cassetten-Service kann ich in meinen Sendungen auch nicht bringen, das gäbe ja riesige Sprechpausen.”
Sauer auf den Leer-Cassetten-Boom ist die Schallplatten-Industrie.
Friedrich Schmidt von der Ariola-Geschäftsleitung dau: “In der Bundesrepublik verursachen die Leer-Cassetten für die Schallplatten-Industrie einen Umsatzverlust von mehr als einer Milliarde Mark. Darunter leiden natürlich auch Komponisten, Texter, Verleger und die Künstler. Wenn die Umsätze weiter zurückgehen, so wird sich das in erster Linie auf das Suchen nach neuen Wegen in der Musik auswirken. Und dieses Experimentieren ist gerade in der Musikszene, die sich in ständiger Entwicklung befindet, sehr wichtig.”
Ralph siegel, Chef von “Jupiter-Records” und Produzent von Stars wie Chris Roberts, Peter Alexander und Demis Roussos: “In gewisser Weise stehlen die Leute, die Songs auf Leer-Cassetten aufnehmen, den Autoren und Künstlern ihr geistiges Eigentum. Andererseits ist es verständlich, daß die Teenies die Chance, mitzuschneiden, nutzen.”
Fürchten die deutschen Schlagerstars wegen der Leer-Cassetten auf die Dauer weniger Platten zu verkaufen? Guter Gabriel: “Haptsächlich werden ausländische Titel mitgeschnitten. NAtürlich kann sich das auch auf deutsche Lieder auswirken, dann könnte es für uns kritisch werden.”
Gilla: “Wenn eine Platte ein Hit ist, wird sie auch gekauft. Ich kann bei mir keinen großen Umsatzrückgang feststellen.”
Wolfgang Petry: “Es passiert oft, daß sich die Fans, obwohl sie einen Cassetten-Recorder haben, de Platte, die ihnen gefällt, trotzdem kaufen und sie dann aufnhemen, um eine bessere Qualität als die vom Radio zu erreichen.”
Es gibt ein ungeheuer großes Angebot von Leer-Cassetten. Ein Tip: Hütet Euch vor den Billigst-Bändern – sie haben keinen guten Klang, rauschen, leiern und reißen leicht. Die Standard-Cassetten, die es ab etwa drei Mark zu kaufen gibt, reichen aus für Mono-Geräte.
Für die Stereo-Recorder empfiehlt es sich, die besonders guten Chromdioxyd- oder Ferrochrom-Cassetten (ab ca. sechs Mark) zu kaufen – allerdings nur, wenn die Abspielgeräte einen entsprechenden CO2- oder Ferro-Umschalter besitzen.
Übrigens: Die Musikindustrie versucht, beim Gesetzgeber durchzudrücken, die Leer-Cassetten künftig beim Kauf mit einem “Aufschlag” zu belegen, der den Künstlern, Autoren und Verlegern zugute kommen soll. Ein Sprecher der GEMA: “Gedacht ist an eine Verteuerung pro Cassette von etwa zwei Mark.” Für die Verbraucher wäre das ein ganz schöner Happen, weil sie ja schon beim Kauf der Abspielgeräte automatisch einen Prozentsatz für die Aufnahmeerlaubnis mitzahlen.”
So schön und so einfach die Mitschneiderei ist: Wer auf hervorragende Soundqualität Wert legt, wird am Plattenkauf nicht vorbeikommen…

Subtexte:

Für viele junge Leute eine Selbstverständlichkeit: sie leihen Platten untereinander aus, nehmen sie auf Cassette auf und zapfen den Rundfunk an. Mit diesem Gerät (Foto links) ist das besonders bequem: Es enthält Rundfunk- und Aufnahmeteil wie die meisten Recorder, aber obendrein noch einen Plattenspieler.
Funk-Jockey Frank: “Ich rede nicht in die Songs rein”
Platten-Plauderer Thomas Gottschalk: “Singles sind zu teuer”
Gilla: “Wahre Hits werden immer gekauft”
Wolfgang Petry: “Platten bieten bessere Qualität”





siehe:  http://cliphead.wordpress.com/2010/04/12/sind-leer-cassetten-der-tod-der-schallplatte/ und
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40915958.html